Wer beim Lesen Notizen macht, behält mehr im Kopf. PDF-Reader beherzigen das nur selten. Flexcil ist da eine Ausnahme. Grund genug, sich die App mal genauer anzuschauen.
Jede*r der oder die regelmäßig mit wissenschaftlichen Artikeln zu tun hat, wird es kennen: Man will nur mal kurz reinschauen, sich einen Eindruck verschaffen und vielleicht ein paar Gedanken, Zitate und Literaturverweise rausschreiben. Da gibt es dann ein paar Möglichkeiten. Einfach das PDF markieren und sich Sachen an den Rand schreiben, um es irgendwann mal in ein Word-Dokument zu übertragen. Oder, auf dem iPad, den PDF-Reader auf der einen Seite und beispielsweise GoodNotes in Splitview. Alles funktionierende Lösungen, aber es wäre doch eigentlich auch schön, wenn man das in einer App bündeln könnte, oder? Vor allem, wenn man vielleicht kein großes iPad Pro mit fast 13 Zoll Displaydiagonale nutzt, sondern auf einem kleineren Gerät unterwegs ist. Zum Glück gibt es ein paar Apps, die dieses Thema auf verschiedenen Wegen angehen.
Zwei sehr mächtige Beispiele sind MarginNote 3 und LiquidText. Zu LiquidText habe ich ja schon mal gezeigt, wie ich es für meine Forschung nutze und jüngst auch etwas zur neuesten Version geschrieben. Und auch MarginNote habe ich auf dem Schirm. So viel vorweg: Ich nutze MarginNote seit einigen Wochen immer mal wieder. Die App ist aber sehr komplex und ich möchte sie mit all ihren Stärken und Schwächen erst noch besser verstehen, bevor ich einen Text dazu schreibe.
In der Zwischenzeit stelle ich euch Flexcil vor. Flexcil gehört zusammen mit eben MarginNote und LiquidText zu den PDF-Programmen, die für ihre Nutzer*innen mehr seien wollen als nur digitale Textmarker und Stifte. Und das ist auch gut so, schließlich sollten die Vorteile eines digitalen Workflows auch genutzt werden. Einfach nur die analoge Welt imitieren, ist nicht ausreichend. Was kann Flexcil also?
Flexcil füllt eine Lücke
Mein vorweggenommenes Fazit ist, dass Flexcil für mich die Lösung ist, wenn ich mir zu einem Text Gedanken machen möchte, MN3 und LT aber zu viel des guten sind. Das geht mir vor allem mit Webartikeln oftmals so. Es kommt häufig vor, dass ich durch meinen Newsfeed in Reeder scrolle und einen spannenden Artikel lese, aus dem ich gern das ein oder andere für meine eigenen Notizen und Gedanken abspeichern würde.
Mit einem klassischen PDF-Reader geht das immer nicht so richtig gut, weil Markierungen und an den Rand Geschriebenes nicht gut wiederzufinden sind. Ich müsste also z.B. GoodNotes im Splitscreen offen haben, um mir parallel zum Lesen Notizen zu machen. Ich könnte natürlich auch LT nutzen, aber das wiederum setzt voraus, dass ich das PDF importiere und außerdem will ich auch gar nicht so viel Gewese machen, da es sich ja nicht um Forschung oder so handelt. Es ist einfach nur ein Artikel, den ich spannend finde und aus dem ich ein bisschen was raus ziehen möchte.
Und an dieser Stelle kommt Flexcil ins Spiel.
PDFs und Notizen bleiben getrennt
Flexcil ist PDF-Reader und Notizblock in einem. Daher vermutlich auch der Name: Flexibel und Pencil.
Die beiden Ebenen sind aber voneinander unabhängig, was gute, aber auch schlechte Seiten hat. Dazu später mehr.
Öffnet man Flexcil sieht man zunächst die Dateiübersicht. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Flexcil also nicht von anderen PDF-Readern. Links ist eine Leiste mit Shortcuts. Dort findet man ganz oben die bereits importierten PDFs, dann die Notizbücher und den Papierkorb. Darunter ist ein Abschnitt für die Dateien-App und weitere Clouddienste. Ich begrüße es immer, wenn eine App die Dateien-App direkt integriert, da so der Zugriff auf meine PDFs schnell von der Hand geht.
Darunter ist dann noch eine Liste mit kürzlich verwendeten PDFs und Notizbüchern, was natürlich eine willkommene Abkürzung ist. Auf der rechten Seite sind dann die PDFs des Ordners in dem man sich jeweils befindet.
Öffnet man ein PDF, zeigt sich zunächst ein vertrautes Bild: ein großes Dokument und oben die Leiste mit den Tools wie verschiedene Stifte oder einem Textmarker. Auf der rechten Seite der Toolleiste finden sich aber schon die ersten Besonderheiten, da sich hier ein Lineal und ein Shapes-Tool finden. Mit diesem Shapes-Tool werden von Hand gezeichnete geometrische Figuren begradigt, wie man es auch von GoodNotes kennt. Außerdem kann man hier auch Textboxen und Bilder einfügen sowie Anmerkungen auf einem PDF auswählen und an eine andere Stelle ziehen.
Jetzt aber zum Alleinstellugnsmerkmal: Flexcil hat einen Notizblock integriert, den man ein- und ausblenden kann. Wie vieles in Flexcil funktioniert das über eine Geste. Man muss nur mit drei Fingern nach oben wischen und schon taucht der Block auf. Drei Finger nach unten und er verschwindet wieder. Lässt man die drei Finger einfach kurz auf dem Display, kann man ihn hin und herschieben, um z.B. einen Teil des PDFs zu sehen. Es gibt aber auch einen klassischen Button, um den Block zu zeigen und auszublenden.
Der Notizblock funktioniert dann ganz wie man es erwarten kann. Man kann Notizen zum eben Gelesenen machen, kleinere Zeichnungen erstellen (z.B. mit dem Shapes-Tool), aber auch Textpassagen aus dem Text extrahieren und auf dem Block einfügen. Flexcil ist hier also eine Mischung aus GoodNotes und Apps wie LiquidText oder MarginNote. Die extrahierten Textstellen bleiben auch mit dem Original verbunden. Tippt man auf eine Textstelle im Notizblock springt Flexcil zur entsprechenden Stelle im PDF.
Da sind wir aber beim weiter oben angedeuteten Punkt. Notizblock und Text sind voneinander getrennt. Bei LiquidText oder MarginNote hat man ja eine einzige Arbeitsfläche und PDF sowie Mindmap (MarginNote) oder Workspace (LiquidText) gehören untrennbar zusammen. Bei Flexcil nicht. Das hat gute, aber auch eine sehr schlechte Konsequenz. Gut ist zunächst mal, dass man so Erkenntnisse aus mehreren PDFs in einem Notizblock sammeln kann. Wenn ich also z.B. mehrere Studien vergleichen möchte, kann ich alles in ein Notizbuch schreiben und habe am Ende eine schöne Sammlung. Dank der Verlinkung extrahierter Textstellen kann ich auch immer schnell zurückspringen, wenn ich nochmal etwas im Kontext nachlesen möchte. Und anders als bei MN3 und LT brauche ich kein extra Projekt, in welches ich dann zunächst mal alle PDFs importieren muss. Die PDFs bleiben in ihrer unabhängigen Form bestehen. Außerdem kann man den Notizblock auch völlig losgelöst von PDFs nutzen, einfach nur als Notizbuch. Damit kann Flexcil unter Umständen sogar Apps wie GoodNotes ablösen.
Zum Problem wird diese Herangehensweise aber, wenn ich das ganze nach getaner Arbeit exportieren möchte. Ich kann nämlich nicht die bearbeiteten PDFs und den Notizblock zusammen exportieren. Idealerweise würde ich ja aber gern eine große Datei haben, in der dann vorn der Notizblock ist und danach alle PDFs folgen, die Grundlage für die Notizen sind. Zumindest arbeite ich gern so und MarginNote oder LiquidText handhaben das auch genau so. Sicherlich sind Notizen dazu da, um sich vom Originaltext zu lösen, aber manchmal braucht man das Original halt doch.
Innovative Gestenbedienung mit Schwächen in der Umsetzung
Der zweite Clou von Flexcil sind die Gesten. Man kann nämlich mit dem Apple Pencil Text auswählen, um ihn anschließend zu unterstreichen, zu markieren oder zu extrahieren, damit er im Notizblock landen kann.
Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten, je nach Textmenge. Mit der Klammer-Geste kann man beispielsweise einen ganzen Abschnitt markieren, einfach indem man eine Klammer vom ersten Satz bis zum letzten Satz des Abschnitts zieht. Es lassen sich aber auch einzelne Worte einkreisen, um sie anschließend beispielsweise definieren zu lassen.
Eine meiner Lieblingsgesten ist, eine Überschrift per Geste zu markieren und dann direkt in ein Lesezeichen umzuwandeln. Kein Extraschritt nötig – sehr praktisch!
Allerdings muss ich leider auch sagen, dass die Gesten nicht immer funktionieren. Vielleicht habe ich auch nur noch nicht den Dreh raus, aber so wirklich zufrieden bin ich nicht. Die Hilfsvideos, die in der App integriert sind und jede Geste und auch sonst alles in der App erklären, sind aber absolut top und helfen sehr dabei, Aufbau und Funktionsweise der App zu verstehen.
Modernes Design, aber Potential bei den APIs
In Sachen Modernität ist Flexcil in Ordnung, aber nicht herausragend. Die App ist schön designt und unterstützt u.a. die Möglichkeit, Flexcil in mehreren Instanzen laufen zu lassen, sodass man verschiedene Projekte gleichzeitig geöffnet haben kann.
Etwas weiter hätte man aber bei der Unterstützung für Drag & Drop gehen können. In der App lassen sich zwar einzelne Dateien so in Ordner verschieben, man kann aber nicht einfach ein PDF an den Rand von Flexcil ziehen, um sie in Splitview zu öffnen.
Auch der Dark Mode bezieht lediglich das Interface, nicht aber die Dokumente selbst mit ein und Kontextmenüs, wie sie mit iPad OS 13 eingeführt wurden, sucht man gänzlich vergebens. Dennoch überwiegen für mich hier die positiven Seiten.
Kosten und Umfang der Premium-Version
Flexcil kann eingeschränkt kostenlos genutzt werden und bietet eine vierzehntägige Testphase für die Pro-Version (die seltsamerweise Standard heißt) an. Und auch danach sollte der Preis niemanden abhalten. Flexcil Standard kostet einmalig 9,99€, was sicherlich ein sehr fairer Preis ist.
Für diese zehn Euro bekommt man dann eine ganze Reihe an Funktionen:
- einzelne PDF-Seiten hinzufügen, löschen, duplizieren oder neu anordnen,
- Textboxen und Bilder zu PDFs hinzufügen,
- mehr Stift-Presets anlegen,
- ein Linealwerkzeug und ein Lasso, um mehrere Elemente auf einmal auszuwählen,
- die angesprochene Lesezeichen-durch-Geste-Funktion,
- weitere Vorlagen für Notizbücher,
- Bearbeitungsfunktionen für Notizen,
- unbegrenzte Ordner und Kategorien,
- Lesezeichen,
- sowie – und das dürfte mit am interessantesten sein – eine Exportfunktion für Notizen. Die müssen sonst nämlich in der App bleiben.
Bei so vielen Funktionen, die erst nach dem Kauf aktiv werden, macht es auch wieder Sinn, von Flexcil Standard zu reden, da die App erst voll funktionstüchtig ist, wenn man die 10€ ausgegeben hat. Ich finde das aber nicht schlimm. Positiv gewendet ist die kostenlose Version dann nämlich eine sehr umfangreiche Testversion ohne Ablaufdatum. Und wenn man dann mal die 10€ abgedrückt hat, bekommt man ein praktische PDF-App mit Notizblock, die zwar hier und da ihre Schwächen hat, andererseits aber auch mit modernem Design und einem runden Funktionsumfang überzeugen kann.
Wem also PDF Expert etc. zu wenig ist, LiquidText oder MarginNote aber zu viel, kann sich mal Flexcil anschauen. Und irgendwann in diesem Sommer werde ich alle drei Apps auch nochmal miteinander vergleichen, um mal einen ordentlichen Überblick zu bieten.